Das neue Cannabisgesetz – Teil 6: Die nicht geringe Menge im KCanG
Gespeichert von Prof. Dr. Jörn Patzak am
Aus gegebenem Anlass ziehe ich den Teil zur nicht geringen Menge vor. Denn es gibt zu dieser äußerst praxisrelevanten Frage bereits erste Entscheidungen.
1. Strafvorschriften zur nicht geringen Menge
§ 34 Abs. 3 Nr. 4 KCanG sieht als Regelbeispiel eines besonders schweren Falles (mit Freiheitsstrafe zwischen 3 Monaten und 5 Jahren) sämtliche Straftaten des § 34 Abs. 1 KCanG vor (darunter den Besitz von mehr als 25g Cannabis außerhalb der Wohnung oder mehr als 50 g insgesamt, die Einfuhr oder das Handeltreiben), wenn sich die Handlung auf eine nicht geringe Menge bezieht.
In § 34 Abs. 4 Nr. 3 und Nr. 4 KCanG werden bestimmte bandenmäßige und bewaffnete Begehungsweisen mit Cannabis in nicht geringer Menge als Verbrechen eingestuft (Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren).
2. Bisherige nicht geringe Menge
Der BGH hat die Grenze zur nicht geringen Menge von Cannabis bereits vor vielen Jahren bei mindestens 500 Konsumeinheiten mit einer Wirkstoffmenge von je 15 mg THC, also insgesamt 7,5g THC festgelegt (BGHSt 8, 33 = NJW 1985, 1404; BGHSt 42, 1 = NStZ 1996, 139), ausgehend von der naturwissenschaftlichen Bewertung von Wirkungsweise und Wirkungsintensität von Cannabis.
3. Zukünftige nicht geringe Menge
Der Gesetzgeber geht ausweislich der Gesetzesbegründung davon aus, dass man aufgrund der geänderten Risikobewertung von Cannabis an der bisherigen Definition der nicht geringen Menge nicht mehr festhalten könne, sondern eine deutliche Anhebung des Grenzwertes für Cannabis erfolgen müsse (BT-Drs. 20/8704, 130).
a) Meine Auffassung
Ich werfe allerdings in der demnächst erscheinenden 11. Auflage von Patzak/Fabricius in der Kommentierung des § 34 KCanG die Frage auf, ob die toxikologischen Sachverständigen und dem folgend die Gerichte die politische Einschätzung teilen werden, zumal die geänderte Risikobewertung bereits durch Herabstufung des Umgangs mit Cannabis in nicht geringer Menge von einem Verbrechenstatbestand zu einem besonders schweren Fall Berücksichtigung fand. Da der Gesetzgeber keine Vorgaben zur Bestimmung der nicht geringen Menge gemacht hat, sind m.E. auch im KCanG die geltenden Grundsätze zur Bestimmung der nicht geringen Menge heranzuziehen. Eine Anhebung des Grenzwertes kann daher nur erfolgen, wenn Gerichte mit Unterstützung von Toxikologen zur Auffassung gelangen, dass 15 mg x 500 Konsumeinheiten heute nicht mehr das Gefahrenpotential von Cannabis abbilden. Und das sehe ich auch nach vielen Gesprächen mit Toxikologen nicht.
b) OLG Hamburg, Beschluss vom 9.4.2024 – 5 Ws 19/24
Auch das OLG Hamburg sieht trotz des Hinweises des Gesetzgebers keinen Anlass, eine Veränderung an der Grenzziehung zu Cannabis vorzunehmen, weil sich an der wissenschaftlichen Einschätzung zur Gefährlichkeit von Cannabis nichts geändert habe.
c) AG Karlsruhe, Urt. vom 9.4.2024 – 1 Ls 610 Js 32177/23
Das Amtsgericht Karlsruhe hat die Frage nach der Grenze zur nicht geringen Menge von Cannabis dahingehend entschieden, dass die nicht geringe Menge dann vorliegt, wenn die gemäß § 3 KCanG erlaubte Menge um mehr als das 10-fache überschritten ist, d.h. wenn man zu Hause mehr als 500 g getrocknetes Cannabis oder außerhalb des Wohnsitzes mehr als 250 g getrocknetes Cannabis besitzt (s. hier).
4. Maßgebliche Menge zur Bestimmung der nicht geringen Menge
Bei Tathandlungen, die keine Freigrenzen für den Umgang mit Cannabis vorsehen, zB das Handeltreiben, ist unstreitig die gesamte tatgegenständliche Cannabismenge für die Bestimmung der nicht geringen Menge maßgeblich.
Beispiel: T handelt mit 70 g Cannabis. Hier ist die gesamte Menge für den Schuldumfang und die Bestimmung der nicht geringen Menge heranzuziehen.
Bei Tathandlungen mit erlaubter Freigrenze nach § 2 Abs. 1 iVm Abs. 3 KCanG, wie Besitz, Anbau und Erwerb eines Mitglieds in einer Anbauvereinigung, sieht es m.E. anders aus. Hier kann sich die nicht geringe Menge nur auf den die Freigrenze überschreitenden Teil beziehen, z.B. beim strafbaren Besitz von Cannabis außerhalb der Wohnung nur der 25g übersteigende Anteil oder beim strafbaren Besitz von Cannabis insgesamt nur der 50g übersteigende Anteil. Denn die Mengen bis 25 g/50 g darf er ohne Wenn und Aber legal besitzen, so dass sie bei der Mengenberechnung zur Strafzumessung und nicht geringen Menge in Abzug zu bringen sind.
Beispiel: T besitzt zu Hause 70 g Cannabis. Er macht sich nach § 34 Abs. 1 Nr. 1 KCanG strafbar, weil er die Grenze von 60 g überschreitet. Im Rahmen des Schuldumfangs und bei der nicht geringen Menge ist aber nur der Anteil zu berücksichtigen, der die nach § 3 Abs. 2 KCanG erlaubten 50 g überschreitet, also 20 g. Damit gibt es auch kein rechtspolitisches Bedürfnis zur Anhebung des Grenzwertes der nicht geringen Menge, weil dem Willen des Gesetzgebers, Konsumenten zu privilegieren, bereits Rechnung getragen ist.